Ab dem 18. Oktober droht in ganz Italien ein weitgehender Stillstand der automatischen Geschwindigkeitskontrollen: Alle Autovelox-Geräte könnten abgeschaltet werden. Grund ist die ausstehende Verabschiedung des dringend benötigten Durchführungsdekrets zum neuen Infrastrukturgesetz. Diese bürokratische Blockade wirft zahlreiche Fragen auf – von der Verkehrssicherheit bis zur Rechtmäßigkeit bereits erhobener Bußgelder.
Infrastrukturgesetz verpflichtet zum Geräte-Census
Das Kernstück des aktuellen Infrastrukturgesetzes ist die umfassende Erfassung aller Geschwindigkeitsmessanlagen auf italienischen Straßen. Kommunen, Provinzen und Regionen müssen nicht nur die Position jedes Autovelox melden, sondern auch genaue technische Informationen:
- Typenbezeichnung und Seriennummer des Geräts
- Nachweis der Homologation (amtliche Zulassung) und Konformität
- Detaillierte Modell- und Funktionsdaten
Erst nachdem diese Daten in ein zentrales digitales Register beim Ministerium für Infrastruktur eingepflegt sind, dürfen die Geräte weiter betrieben werden. Ohne das entsprechende Online-Modul, das per Durchführungsdekret bereitgestellt werden müsste, bleiben die Kommunen jedoch handlungsunfähig.
Bürokratische Verzögerung und öffentliche Kritik
Der Verbraucherverband Codacons hat die Situation bereits als „absurd und paradox“ kritisiert. Ursprünglich sollte das Dekret bis zum 19. August in Kraft treten. Inzwischen mahnt Codacons an, dass ohne Beschluss alle Autovelox ab dem 18. Oktober abgeschaltet werden müssen – ungeachtet ihrer bisherigen Zulassung oder ihres technischen Zustands.
Rechtliche und administrative Konsequenzen
Kommt es tatsächlich zur Abschaltung, stehen die lokalen Verwaltungen und Polizeibehörden vor einem Dilemma:
- Gesetzestreue: Sie müssen die Geräte deaktivieren und riskieren dadurch einen Kontrollverlust.
- Bußgeldrisiko: Fahrer könnten weiterhin geblitzt werden, die Bußgelder wären aber wohl rechtlich anfechtbar.
Für die Kommunen bedeutet das mögliche Rückforderungen von bereits bezahlten Bußgeldern und eine Flut von Einsprüchen, die die Kommunalhaushalte stark belasten könnten.
Schwere Unwucht im Bußgeldsystem
Die Ungewissheit kommt zu einer ohnehin prekären Lage hinzu: Bereits im April 2024 entschied der Oberste Gerichtshof (Corte di Cassazione), dass alle Verwarnungen von nicht ordnungsgemäß homologierten Geräten automatisch unwirksam sind. Codacons schätzt, dass derzeit:
- 60 % der stationären Autovelox
- über 67 % der mobilen Blitzer
noch keine gültige amtliche Zulassung haben. Diese Zahlen belegen, wie groß der Nachholbedarf bei der Geräteüberprüfung ist.
Gefahr für Verkehrssicherheit und steigende Unfallzahlen
Ein temporärer Wegfall der Geschwindigkeitskontrollen kann gravierende Auswirkungen auf die Sicherheit haben:
- Erhöhtes Unfallrisiko durch rasch fahrende Fahrzeuge
- Rückgang der Fahrdisziplin auf ohnehin unübersichtlichen Landstraßen
- Verunsicherung der Verkehrsteilnehmer, die bislang auf den Schutz der Automatisierung setzten
Jahrelange Anstrengungen zur Senkung der Verkehrstoten könnten dadurch zunichtegemacht werden. Viele Fahrer fühlen sich bereits jetzt durch die drohende Abschaltung „im Stich gelassen“.
Anwaltliche Flut von Einsprüchen voraus
Die ausstehende Rechtsunsicherheit bietet eine Grundlage für massenhafte Einsprüche gegen Bußgeldbescheide. Autofahrer, die in den vergangenen Monaten geblitzt wurden, erwarten durchweg die Möglichkeit, ihre Strafen anzufechten. Rechtsanwälte und Verkehrsverbände warnen vor einem „wahren Tsunami“ von Einsprüchen, der Gerichte und Kommunalkassen belasten würde.
Forderung nach sofortiger Intervention
Codacons und weitere Verbände fordern das Ministerium auf, den Erlass des Durchführungsdekrets unverzüglich zu veranlassen. Nur so könne die rechtliche Grundlage für den Betrieb der Autovelox geschaffen und der drohende Blackout verhindert werden. Eine schnelle Lösung würde den Behörden wieder klare Handlungsoptionen eröffnen und den Bürgern Rechtssicherheit bieten.
Ausblick und mögliche Zwischenlösungen
Sollte das Dekret bis Mitte Oktober nicht kommen, käme es zu:
- vorläufiger Reaktivierung von manuell betriebenen Radarkontrollen
- temporären Geschwindigkeitskontrollen durch Polizeistreifen
- Notfallverordnungen, die bestimmte Geräte vorläufig genehmigen
Doch auch solche Übergangsmaßnahmen sind keinesfalls unkompliziert und bedürfen zusätzlicher Ressourcen.
Fazit für Autofahrer und Kommunen
Italien steht vor einer beispiellosen Organisationsherausforderung: Die Einhaltung der neuen Infrastrukturregeln ist zwar sinnvoll, um den Bußgeldapparat zukunftssicher zu machen. Die bürokratischen Verzögerungen können jedoch großen Schaden anrichten – für die Verkehrssicherheit ebenso wie für Recht und Ordnung. Alle Beteiligten hoffen, dass das Dekret noch rechtzeitig verabschiedet wird, um am 18. Oktober einen reibungslosen Weiterbetrieb aller Autovelox zu garantieren.