Im BMW-Werk Regensburg hat ein Pilotprojekt zur Lackieranlagentechnik die Pforten zu einer neuen Ära nachhaltiger Automobilproduktion aufgestoßen. Statt auf herkömmliche Gasheizungen setzt BMW Group nun auf diathermisches Öl – ein Thermovektorfluid, das hohe Temperaturen besonders effizient speichert und verteilt. Das Ergebnis: Ein Energieverbrauchsrückgang von rund 40 % in den Trockenkabinen und eine Einsparung von etwa 480 Tonnen CO₂ pro Jahr.
Warum diathermisches Öl?
Traditionell erhitzen Lackier-Trockenkabinen die Luft in großen Hallen direkt mit Gasbrennern. Das bringt jedoch einige Nachteile mit sich:
- Hoher Brennstoffbedarf, der stark schwankende Gaspreise sensibel macht.
- Unregelmäßige Temperaturverteilung durch direkte Luftheizung.
- Begrenzte Möglichkeiten zur Nutzung erneuerbarer Energien.
Mit diathermischem Öl als Wärmeträger zirkuliert ein gekapseltes Fluid in einem geschlossenen Kreislauf. Über Wärmetauscher wird die gespeicherte Energie kontrolliert an die Luft abgegeben. Das Verfahren vereint Stabilität, Flexibilität und Umweltfreundlichkeit.
Funktionsprinzip und Komponenten
Das neue System im Überblick:
- Ölkreislauf: Diathermisches Öl speichert Wärme in isolierten Rohrleitungen und zirkuliert zwischen Heizungs- und Trockenkabinen.
- Wärmetauscher: Geben thermische Energie gezielt an die Luft ab, die dann die Lackschichten schonend durchtrocknet.
- Regelventile und Sensoren: Sorgen für konstante Temperaturen und passen den Durchfluss automatisch an Produktionsbedingungen an.
- Rückgewinnungseinheit: Fängt Abwärme auf und speist sie zurück ins System oder in vorgelagerte Produktionsschritte.
Flexibilität durch erneuerbare Energien
Einer der größten Vorteile des diathermischen Ansatzes ist die Vielseitigkeit bei der Wärmequelle. Während Gas kurzfristig noch ergänzend zum Einsatz kommen kann, steht langfristig ein Mix aus erneuerbaren Energien zur Verfügung:
- Solarthermie: Kollektorfelder auf dem Werksgelände liefern tagsüber Wärme in hoher Qualität.
- Geothermie: Unterirdische Wärmequellen können Konstanz und Unabhängigkeit garantieren.
- Grüner Wasserstoff: Brennstoffzellen heizen das Öl, ohne CO₂ zu emittieren.
- Windstrom: Überschussenergie aus Windkraftanlagen lässt sich in Elektroheizern in thermische Energie umwandeln.
Diese Multi-Source-Fähigkeit macht die Regensburger Lackiererei resilient gegen Preisschwankungen und Versorgungsengpässe.
Einsparpotenziale und CO₂-Bilanz
Die Messergebnisse aus Regensburg sprechen eine klare Sprache:
- 40 % weniger Energieverbrauch in den Trockenkabinen im Vergleich zu herkömmlichen Gasheizungen.
- 480 Tonnen CO₂-Einsparung pro Jahr, eine Größenordnung, die rund hundert Mittelklasse-Pkw entspricht.
- Minimaler Wartungsaufwand: Die geschlossenen Ölkreisläufe reduzieren Korrosion und Ablagerungen.
Dank der Rückgewinnung von Abwärme sinkt der Bedarf an Primärenergie zusätzlich – ein Hebel, den kaum eine andere Branche in gleichem Maße nutzen kann.
Schritt in Richtung Industrie 4.0 und Lean Production
Die Implementierung diathermischer Systeme läuft nicht isoliert, sondern ist Teil einer umfassenderen Digitalisierungsstrategie:
- Echtzeit-Monitoring: Sensoren überwachen Temperatur, Druck und Ölqualität 24/7.
- Predictive Maintenance: KI-basierte Algorithmen erkennen Wartungsbedarf bevor Ausfälle auftreten.
- Lean Production: Optimierte Produktionsabläufe, bei denen Taktzeiten und Energieeinsatz synchronisiert werden.
So entstehen nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile durch geringere Stillstandszeiten und weniger Ressourceneinsatz.
Regensburg als Innovations-Hub
Das BMW-Werk Regensburg gilt seit Jahren als Vorreiter in Sachen Elektromobilität und Produktionsinnovation. Mit dem diathermischen Pilotprojekt festigt das Werk seinen Ruf:
- Über 30 globale Produktionsstandorte, von denen Regensburg als Modellanlage dient.
- 2,45 Millionen verkaufte Fahrzeuge im Jahr 2024 – ein Beleg für wirtschaftliche Stärke.
- 142,4 Milliarden Euro Umsatz im gleichen Zeitraum, trotz weltweiter Lieferkettenprobleme.
Die Erkenntnisse aus Regensburg werden sukzessive in andere Werke und Tochtermarken von BMW Group transferiert.
Ausblick auf weitere Märkte und Skalierung
Nach dem erfolgreichen Pilotbetrieb plant BMW Group, das diathermische System in weiteren Lackieranlagen einzuführen. Zielmärkte sind:
- USA und Asien – dort wo Fabriken besonders hohe Kapazitäten bedienen.
- Europa – Ausbau in Spartanburg, Oxford und Leipzig.
- Langfristig alle Standorte, um die CO₂-Bilanz über alle Produktionslinien hinweg zu optimieren.
Diese Technologie soll auch kleinen und mittleren Zulieferern zur Verfügung stehen, um die gesamte Wertschöpfungskette nachhaltig zu gestalten.