Die Peugeot, die das Car‑Sharing vorausdachte: Wie das Tulip‑Konzept von 1996 unsere Städte schon damals revolutionieren wollte
1996 präsentierte Peugeot mit der Tulip ein Konzept, das heute erstaunlich modern wirkt: ein elektrisches Stadtauto für zwei Personen, gedacht als Teil eines Sharing‑Dienstes, mit Lösungen, die ihrer Zeit weit voraus waren. Als jemand, der aus München die Entwicklungen der Mobilität beobachtet, sehe ich in der Tulip nicht nur ein Design‑Experiment, sondern eine frühe Blaupause für die Car‑Sharing‑Welle und die Elektrifizierung des Kleinwagen‑Segments.
Entstehung und Intention: Mobilität als Dienst
Die Tulip entstand 1995 im gemeinsamen Umfeld von PSA (Peugeot/Citroën) mit dem Ziel, städtische Mobilität neu zu denken. Nicht Besitz, sondern Nutzung stand im Mittelpunkt: Die Fahrzeuge sollten über ein Abonnementsystem verteilt werden, Nutzer reservieren das Auto telefonisch oder finden es an speziellen Stationen. Eine Signallampe auf dem Dach zeigte an, ob ein Fahrzeug verfügbar oder gerade beim Laden ist – ein simples, aber effektives Bedienkonzept, das heutigen Apps und Flottenmanagement‑Systemen vorgreift.
Technik kompakt gedacht
Technisch war die Tulip auf urbane Einsätze zugeschnitten. Ein Elektromotor mit 9,6 kW ermöglichte eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 70 km/h, die Reichweite wurde mit rund 80 km angegeben. Diese Werte erscheinen heute klein, waren aber exakt auf kurze Wege in der Stadt ausgelegt: Pendeln, Einkäufe, kurze Erledigungen – dafür reichen 80 km locker.
Besonders interessant war die Kombination aus simplifiziertem Antrieb und Komfortmerkmalen wie einer automatisierten Lüftungs‑ und Heizungsregelung – Komfortaspekte, die man sonst eher in größeren Fahrzeugklassen erwartete.
Bedienung und Konnektivität als Vorläufer moderner Systeme
Als außergewöhnlich darf der Fernbedienungsansatz der Tulip gelten: Funktionen wie Öffnen der Schiebetüren oder Einleiten von Lade‑Prozessen sollten per Gerät gesteuert werden. Das ist de facto die Vorform heutiger Smartphone‑Apps, mit denen Nutzer Autos reservieren, entriegeln und Statusinformationen abfragen. Peugeot dachte hier bereits an Benutzerführung und Flottenlogik – zentrale Bausteine für die Skalierung von Sharing‑Angeboten.
Design und Urbanität
Die Tulip war kompakt, wendig und auf maximale Praktikabilität ausgelegt: schmale Außenmaße für einfache Parkplatzsuche, Schiebetüren für komfortablen Ein- und Ausstieg in engen Straßenzügen und ein zweisitziges Layout, das Flächenbedarf und Gewicht minimierte. Solche Entscheidungen folgen klaren urbanen Prioritäten: niedrige Betriebskosten, geringe Stellflächen und hoher Nutzwert pro Fläche.
Warum die Tulip nicht in Serie ging
Mehrere Faktoren verhinderten die Serienproduktion. In den 1990er‑Jahren waren Batteriekosten, Ladeinfrastruktur und Marktakzeptanz noch nicht ausgereift. Dazu kamen industrielle Zwänge: Serienfertigung erfordert große Stückzahlen, um wirtschaftlich zu sein – ein Risiko, das viele Hersteller scheuten, bevor der Markt sichtbare Nachfrage zeigte. Die Tulip blieb daher ein Konzept, aber ein sehr aussagekräftiges.
Lehren für heutige Stadtplanung und Mobilitätslösungen
Die Tulip zeigt, wie früh Ideen für die heutige Stadtmobilität existierten. Sie liefert wichtige Impulse:
Gerade für deutsche Städte wie München oder kleinere bayerische Kommunen bieten Konzepte wie die Tulip Inspiration: Weniger Platz für private Parkflächen, mehr Flächen für Sharing‑Stationen, und eine Elektrifizierung kleinerer Verkehrseinheiten könnten den innerstädtischen Verkehr spürbar entlasten.
Technische Robustheit und Pflegeaufwand
Ein einfaches elektrisches Antriebsstrangkonzept reduziert Wartungsaufwand und Gesamtkosten – ein Vorteil für Flottenbetreiber. Weniger bewegliche Teile, einfache Kühlung und eine überschaubare Batteriegröße bedeuten geringere Ausfallzeiten und niedrigere Betriebskosten. Das ist besonders relevant, wenn Fahrzeuge von vielen Nutzern unterschiedlich behandelt werden.
Gesellschaftliche und wirtschaftliche Aspekte
Die Tulip war nicht nur technisch, sondern auch sozial gedacht: ein Fahrzeug für alle, zugänglich via Abo, ohne Besitzzwang. Das reduziert Barrieren für Menschen, die sich kein eigenes Auto leisten wollen oder können. Flottenmodelle können auch soziale Ziele erfüllen, z. B. Mobilität in Randbezirken sicherstellen oder ältere Nutzer unterstützen.
Fazit für heutige Entwickler und Städteplaner
Die Tulip von 1996 war ein Visionärsprojekt: Es vereinte elektrische Antriebstechnik, Sharing‑Logik und userorientierte Bedienung in einem Paket. Für die Praxis heute heißt das: Wenn Städte und Hersteller mutig planen, kann Mobilität wirklich effizienter und nachhaltiger werden. Kleine, spezialisierte Elektrofahrzeuge mit klaren Service‑Konzepten sind eine effektive Ergänzung zu ÖPNV und Fahrradnetzen – genau das, was die Tulip schon vor über 25 Jahren andeutete.
