Kann eine Schrift Autofahrer retten? Volvo enthüllt „Centum“ – die ungewöhnliche Sicherheits‑Innovation, die jeder testen will
Kann eine Schriftart die Verkehrssicherheit verbessern? Volvos mutiger Ansatz
Volvo hat schon immer Sicherheit großgeschrieben. Von der Erfindung des dreipunktigen Sicherheitsgurts bis zu modernen Assistenzsystemen – die Schweden zählen zu den Pionieren. Nun geht die Marke einen überraschend unaufgeregten, aber durchdachten Schritt: Nicht neue Sensoren oder Hardware sollen die nächste Sicherheitsstufe bringen, sondern eine Schriftart. Der Volvo Centum, entwickelt mit dem Typografie‑Studio Dalton Maag, debütiert in der kommenden EX60 und zielt darauf ab, Ablenkung durch Displays zu reduzieren.
Warum eine Schriftart?
Moderne Fahrzeuge sind voll von Bildschirmen. Informationsflut, grafische Spielereien und schlecht lesbare Anzeigen können die Blickzeit vom Straßenverkehr weg verlängern. Volvo argumentiert, dass schon kleine Zeitgewinne beim Erfassen von Texten die Sicherheit messbar verbessern: Studien zeigen, dass Fahrer zwischen 18 und 40 Sekunden vor dem zentralen Display verweilen können – bei 40 km/h entspricht das einer enormen Strecke, die unaufmerksam zurückgelegt wird. Ein klarer, gut lesbarer Zeichensatz soll die Zeit zum Erfassen reduzieren und damit die Rückkehr der Aufmerksamkeit zur Straße beschleunigen.
Volvo Centum: Design mit Absicht
Der Centum ist nicht bloß eine ästhetische Entscheidung, sondern ein ergonomisch konzipiertes Werkzeug. Form, Strichstärke, Proportion und Abstand wurden so gestaltet, dass die Augenbewegungen des Fahrers optimal gelenkt werden. Ziel ist es, unnötige grafische Elemente zu minimieren, visuelle Unordnung zu vermeiden und allein den Text als Informationsquelle hervorzuheben. Das Ergebnis soll ein Interface sein, das schneller gelesen und einfacher verstanden wird – besonders in kritischen Fahrsituationen.
Ein Debüt in der EX60 – mehr als nur ein Jubiläumsgeschenk
Volvo bezeichnet den Centum als Hommage an das bevorstehende Firmenjubiläum. Die EX60, die Anfang 2026 erwartet wird, dient als erste Anwendung des neuen Systems. In einem Fahrzeug, das ohnehin auf Minimalismus und eine zentrale digitale Steuerung setzt, ist die Einführung eines eigens entwickelten Fonts ein logischer Schritt: Er harmoniert mit dem reduzierten Innenraumdesign und unterstützt die Idee, dass weniger visuelle Reize zu mehr Fahrbarkeit führen.
Typografie als Ergonomie: Wie genau hilft das?
Gute Lesbarkeit hängt von mehreren Faktoren ab:
Der Centum setzt genau hier an: Er vereinfacht die visuelle Verarbeitung und reduziert kognitive Belastung, wodurch Fahrer schneller die benötigte Information extrahieren können.
Zurück zu Knöpfen oder weiter digitalisieren?
Interessant ist der Kontext: Während mehrere Hersteller – von Hyundai bis Mercedes – auf eine Rückkehr physischer Tasten setzen, bleibt Volvo vorerst beim reduzierten Display‑Ansatz. Die Frage ist nicht ideologisch: Beide Wege verfolgen dasselbe Ziel – Ablenkung minimieren. Volvo versucht nun, das digitale Interface so zu gestalten, dass es dem Fahrer so wenig wie möglich „im Weg“ steht. Der Centum kann als Ergänzung zu, nicht als Widerspruch gegenüber, physischen Bedienelementen gesehen werden.
Was bedeutet das für den Fahrer?
Konkrete Vorteile für den Endnutzer könnten sein:
Limitationen und kritische Fragen
Eine Schriftart allein ist natürlich kein Allheilmittel. Ablenkung entsteht nicht nur durch schlecht lesbaren Text, sondern auch durch komplexe Menüs, pop‑up‑Benachrichtigungen, Animationen und sogar durch die Art, wie Informationen priorisiert werden. Volvo muss also sicherstellen, dass Centum Teil einer umfassenden Interface‑Strategie ist – mit durchdachter Informationsarchitektur, Einschränkungen für Push‑Benachrichtigungen während der Fahrt und klaren, direkten Interaktionspfaden.
Implikationen für die Branche
Wenn der Centum nachweislich die Blickzeiten reduziert und Fehler beim Ablesen minimiert, könnte das Schule machen. Typografie ist ein vergleichsweise günstiges, aber evidenzbasiertes Instrument – im Gegensatz zu teuren Hardware‑Upgrades. Es wäre denkbar, dass Normen oder Empfehlungen entstehen, wie Text in Fahrzeugen gestaltet werden sollte, ähnlich zu Standards in der Luftfahrt oder Medizin, wo Lesbarkeit und Informationsdarstellung strengen Vorgaben folgen.
Fazit für die Praxis
Als jemand, der täglich auf deutschen Landstraßen unterwegs ist, begrüße ich Volvos experimentellen, menschenzentrierten Ansatz. Kleine ergonomische Verbesserungen summieren sich im Alltag. Die Herausforderung wird sein, diese typografischen Optimierungen mit einer Gesamtstrategie gegen Ablenkung zu verbinden. Gelingt das, könnte eine unscheinbare Schriftart tatsächlich einen spürbaren Beitrag zur Verkehrssicherheit leisten – und das ist eine denkbar elegante Form der Innovation.
